Impf-Aktion Projekte
Impf-Aktion

Impfaktion in Zentralanatolien


Text: Wolfgang Brueseke, praktischer Tierarzt, Fotos: Elisabeth von Buchwaldt

 


Was bewegt einen praktischen Tierarzt aus dem ländlichen Ostwestfalen dazu, im ohnehin knapp bemessenen Urlaub seine Familie zu Hause zu lassen, in ein Flugzeug zu steigen, nach der Landung in Ankara 600 km in einem alten Skoda quer durch Anatolien zu fahren, um irgendwo in den Bergen große Hirtenhunde mit schlechtem Ruf zu impfen?


Eine richtige Erklärung für dieses Verhalten fehlt mir bis heute.


Da aber, wie mir glaubhaft versichert wurde, derlei Verrücktheiten durchaus Interesse aus der Kollegenschaft entgegengebracht wird, will ich das Kangal Dog Preservation Project im Folgenden kurz vorstellen.


Spätestens seit Implementierung der so genannten „Rasselisten" steht u.a. auch die Rassegruppe der Herdenschutzhunde im Blickpunkt fachlichen und öffentlichen Interesses. Hierunter fallen auch verschiedene Hunde türkischer Herkunft, insbesondere der Akbash und der Kangal oder Karabash. Tatsache ist, dass in der Provinz Sivas in Zentralanatolien neben wenigen Mischlingen vor allem ein großer, stockhaariger, gelb- oder graufalber Hirtenhund mit schwarzer Maske vorherrscht, der als „Kangal", oder „Sivas-Kangal" bezeichnet wird. Diese Hunde dienen vor allem zur Bewachung der Schafherden, da in dieser Region immer noch eine gewisse Population des Anatolischen Wolfes vorkommt, der, auch in Ermangelung anderer Beutetiere, durchaus nennenswerte Verluste bei den Herdentieren verursacht. Außerdem versehen die Hunde Wachfunktion innerhalb der Dörfer.


Nachdem meine Frau und ich uns über Jahre mit verschiedenen Hüte- und Herdenschutzhunden beschäftigt hatten, kam vor drei Jahren der erste Kangal zu uns; der damals einjährige Rüde „Asil", ein Hund, der mit drei bis vier Wochen aus der Türkei geschmuggelt worden war, mindestens zwei Besitzer hinter sich hatte, zeitweise an der Kette gehalten worden war und ein ausgesprochen rüpelhaftes Verhalten an den Tag legte, sich jedoch in kürzester Zeit in die Sozialstrukturen sowohl innerhalb des bestehenden Hunderudels wie auch der Familie einfügte. Wir waren vom Auftreten, der Eigenständigkeit und Souveränität und natürlich auch dem Aussehen dieses Hundes sofort fasziniert: Die Infektion mit dem Kangal-Virus war nach kurzer Inkubationszeit voll ausgebrochen.


Über kurz oder lang ergaben sich natürlich Kontakte zu anderen Infizierten, insbesondere zu Frau Elisabeth von Buchwaldt, Hamburg, die sowohl in Deutschland als auch international als profundeste Kennerin, mindestens aber als größte Liebhaberin der Kangal-Hunde gelten muss. Sie bereist seit etlichen Jahren die Gegend um die Stadt Kangal, sammelt sämtliche Informationen über Vorkommen, Geschichte, Wesen, Einsatz und Ausbildung der Hunde, derer sie habhaft werden kann. Im Zuge dieser Nachforschungen kam heraus, dass die Anzahl der Kangal-Hunde in der Ursprungsregion stark rückläufig ist. Gründe hierfür sind zum einen Infektionskrankheiten wie Staupe, Parvovirose und Tollwut, zum anderen auch ein Rückgang der traditionellen extensiven Schafhaltung, die selbst in dieser entlegenen Gegend den Hirten kaum noch ein ausreichendes Einkommen sichern kann. Somit fallen traditionelle Aufgaben der Hunde weg, und es bestehen bei den Schäfern keine finanziellen Möglichkeiten, bei den verbleibenden Hunden die notwendigen Impfungen und Entwurmungen durchzuführen. Daraus resultiert u.a. eine extrem hohe Welpensterblichkeit von bis zu 90%.


Im Jahr 2001 wurde von Elisabeth von Buchwaldt in Zusammenarbeit mit dem Distriktgouverneur (Kaymakan) von Kangal, Herrn Mehmet Sarican, das „Kangal Dog Preservation Project" ins Leben gerufen, mit der Zielsetzung, die finanziellen Mittel bereitzustellen, um den Hirten die Maßnahmen zur Gesundheitsprophylaxe ihre Hunde kostenlos zur Verfügung zu stellen.


Nachdem mich Frau von Buchwaldt 2002 überredet hatte, ihre jährliche Reise in die Türkei mitzumachen, Land, Hunde und Leute kennen zu lernen und das Kangal Festival zu besuchen, ließ mich die Faszination des Landes nicht mehr los. Karge, trockene Hochebenen, Dörfer aus Lehmziegeln wie aus einer vergangenen Zeit, Herden von Fettschwanzschafen, beladene Esel, einfache, freundliche Hirten, ihre überwältigende Gastfreundschaft und nicht zuletzt die majestätischen Wächter der Herden, die Kangals machten einen Reiz aus, der mir gar keine andere Wahl ließ, als mich dem Projekt anzuschließen.


Nach einigen Diskussionen mit den beteiligten türkischen Kollegen erarbeiteten wir ein sehr einfaches Impfschema, da die geplante Impfaktion vorerst einmal jährlich durchgeführt werden sollte. Wir beschlossen, jeden Hund ab 3 Monaten mit einem Fünffach-Impfstoff (SHP+LT) sowie jeden Welpen zwischen 6 und 12 Wochen gegen Staupe und Parvovirose zu impfen. Es stellte sich schnell heraus, dass die benötigten Medikamente günstiger in Deutschland zu beziehen seien. Zurück in Deutschland machte ich mich also an die Lösung der logistischen Probleme, wie Preisverhandlungen, Klärung der gesetzlichen Vorlagen, Möglichkeiten des Kühltransportes etc. Dank der freundlichen Unterstützung der Firma Intervet, der Türkischen Botschaft in Münster sowie der lokalen deutschen und türkischen Veterinärbehörden konnten wir Anfang Juli 1250 Impfdosen in die Türkei überführen.


Eine Handvoll engagierter türkischer Tierärzte und Helfer stellten sich mitsamt ihren Autos freiwillig zur Verfügung, und so konnte es am 8.Juli mit vier Teams losgehen, wobei jedes Team aus einem Tierarzt, dem Fahrer, einem Helfer und einem Beamten der Distriktregierung bestand.


Jedem Team waren eine bestimmte Anzahl von Dörfern in der Region zugeteilt. Die Besuche fanden am Tage statt, so dass die meisten Hirten und Hunde innerhalb der Dörfer angetroffen wurden. Am späten Nachmittag werden die Herden auf die Weide getrieben und bleiben über Nacht draußen. Diese Regelung ist in Anbetracht der Temperaturen sicherlich wünschenswert für die Hunde, bedeutete für uns jedoch lange Autofahrten über Schotterpisten während der größten Tageshitze. Üblicherweise sprachen die mitfahrenden Beamten in den Dörfern den jeweiligen Mukhtar (Dorfvorsteher) an, der uns dann zu den einzelnen Gehöften begleitete. Die überwiegende Mehrheit der Bewohner nahm unsere Arbeit sehr positiv auf und brachte aus allen möglichen Winkeln ihre Hunde angeschleppt. Auch diese erwiesen sich als ausgesprochen kooperativ, so dass insgesamt nur etwa fünf Hunde wegen erhöhter Aggressivität nicht geimpft werden konnte. In allen diesen Fällen handelte es sich um Kettenhunde, die auch von ihren Besitzern nicht zu handhaben waren, während ihre freilaufenden Kollegen teilweise von Kindern geführt wurden.


Insgesamt war es uns nach drei Tagen Einsatz gelungen, über eintausend Hunde zu impfen, wobei etwa 20 bis 30 Hunde wegen offensichtlicher Erkrankungen oder schwerer Verletzungen nicht geimpft werden konnten. Nochmals hervorheben möchte ich, dass sämtliche beteiligten Tierärzte und Helfer unentgeltlich tätig waren und somit über das Projekt nur reine Sachkosten (Impfstoffe, Material, Benzin) finanziert wurden.


Abschließend fiel mir noch die ehrenvolle Aufgabe zu, auf dem anlässlich des diesjährigen Kangal-Festival stattfindenden 1. International Symposium on Kangal Dogs die Arbeit des Projektes und den Verlauf der Impfaktion sowie die Situation der Kangal-Hunde und ihrer Besitzer in Deutschland vorzutragen, was mich nebenbei zwang, meine rudimentären Englischkenntnisse entsprechend aufzumöbeln.


Der Besuch des Festivals und der Hundeschau mit etwa 300 Kangals, sowohl aus der Umgebung wie auch aus weiter entfernten Teilen der Türkei bildete einen schönen Abschluss der diesjährigen Aktion.
Für das nächste Jahr haben namhafte türkische Wissenschaftler ihre Hilfe beim Projekt zugesagt. So ist z.B. geplant, unter Mithilfe von Professoren und Studenten der Universität Istanbul die Hunde in der Region etwa 2 Wochen vor Beginn der Impfaktion flächendeckend zu entwurmen.


Ob all diese Bemühungen den gewünschten Erfolg haben, nämlich eine großartige Hunderasse innerhalb ihres Ursprungsgebietes und ihrer ursprünglichen Funktion zu erhalten, bleibt abzuwarten, da insbesondere die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht unserem Einfluss unterliegen und zu befürchten ist, dass die uralte Kultur der Schafhirten letztendlich mit allem, was dazugehört, verschwinden wird. Wir hoffen jedoch, durch unser Engagement das Interesse innerhalb der türkischen Bevölkerung an ihren einmaligen Hunden zu fördern und sie zu veranlassen, dieses hohe Kulturgut um seiner selbst willen zu erhalten.


Daher werden sich auch im nächsten Sommer mindestens zwei verrückte Deutsche in ein Flugzeug setzen, Anatolien mit dem Auto durchqueren und irgendwo in den Bergen Hunde impfen.
 

Unser "Doc" in Aktion

 

in den Dörfern...

...und bei den Herden 
Alle brachten uns ihre Hunde zum Impfen.
Winzige Kangals

Junge Kangals
„Halbstarke“ Kangals
 
Erwachsene Kangals
Ganz alte Kangals
 
Alte Männer mit Kangals
Junge Männer mit Kangals
 
Frauen mit Kangals
Ganze Familie mit Kangals
 
Kangals mit Familie
Manchmal aber musste der "Doc" sie selber abholen ...
 
...und manchmal kamen sie von selbst
Auch kleine Wölfe wurden vom großen Wolf(gang) geimpft
 
Der Kangal Abschied
der Doc, mit Onur Kanli, Freund und Organisator
 
 Unser Team in Havuz